Der Mensch besitzt – nach heutigem Wissensstand als einziges Lebewesen – die Fähigkeit über sich selbst nachzudenken, das heisst die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Diese Fähigkeit ist nicht bei allen Menschen gleich ausgebildet. Sie kann aber trainiert werden. Selbstreflexion hat grundsätzlich eine Hauptfunktion: Wir können damit unser Lernen und Handeln kontrollieren.
Selbstreflexion einer lernenden Person. Eine Lernende hat den Auftrag, eine Käseplatte herzurichten. Dabei läuft das folgende innere Protokoll ab:
- Ich muss das benötigte Gesamtgewicht auf die drei Hauptgruppen „Hart, Halbhart- und Weichkäse“ aufteilen, das ist mir so weit klar. (Reflexion über das eigene Wissen)
- Die Menge des Käses wird dadurch bestimmt, ob die Platte für einen Apéro oder für einen Hauptgang bestellt wurde. Wie viel Käse nimmt man auch schon wieder für einen Apéro? Das ist schon eine Weile her, seit ich das gelernt habe. Offenbar hab ich das noch nicht im Langzeitgedächtnis. Ich müsste den Lernstoff wohl etwas öfter repetieren. (Reflexion über das eigene Lernen)
- Wenn ich die Chefin frage, blamiere ich mich. Aber wenn ich es nicht tue, dann kommts vielleicht ganz falsch raus. Ach, ich habe immer solche Angst zuzugeben, wenn ich etwas nicht weiss. (Reflexion über eigene Verhaltensmuster)
- Aha, ich kann ja im Fachbuch nachschlagen. Es ist wie immer: irgendwann habe ich dann schon eine rettende Idee, wenn ich nicht mehr weiter weiss. Ich gebe eigentlich nie auf. (Reflexion über die eigenen Strategien)
- Nun kommt das Problem mit dem Anrichten, ist nicht meine Stärke. Ich bin einfach zu wenig kreativ. (Refelxion über eigene Schwächen)
- Zum Glück hat der Küchenchef heute frei, er ist immer so kritisch. Irgendwie habe ich immer ein wenig Angst vor ihm, mit ist wohler, wenn er mir nicht zuschaut. (Reflexion über die eigenen Gefühle).
- So, die Platte sieht eigentlich ganz gut aus, die würde auch bei meinem Chef „durchgehen“. (Reflexion über die eigene Leistung)
Selbstreflexion heisst beispielsweise nachdenken über:
- die eigenen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen,
- das eigene Handeln, die eigenen Verhaltensmuster, die eigenen Strategien,
- das eigene Denken und Fühlen,
- das eigene Wissen/Nicht-Wissen (Know-how),
- das eigene Lernen.
Selbstreflexion der lernschwächeren Jugendlichen. Oft wird irrtümlich angenommen, dass schulisch schwächere Lernende mit der Selbstreflexion überfordert sind. Doch gerade ihre Defizite zwangen sie schon früh, Strategien im Umgang mit ihren Lernschwierigkeiten zu entwickeln. Sie verfügen deshalb über ein ebenso reiches inneres Protokoll wie stärkere Lernende, das jedoch – gezielt angeleitet – bewusst gemacht werden muss. Es ist möglich, dass Lernschwächere im Bereich Lern- und Arbeitstechnik hohe Kompetenzen erreichen können, da ja nicht eine formale schulische Leistung, sondern ein Verhalten gemessen wird. Selbstreflexion kann erwiesenermassen zu einem besseren Arbeitsverhalten führen.Für Lernende in der zweijährigen beruflichen Grundbildung und Jugendliche, die Stütz- undFörderkurse besuchen, gibt es im Unterricht auch Formulare mit gezielten Fragen zur Lernplanung und Lernkontrolle.
Selbstreflexion der Berufsbildner/innen. Auch die Berufsbildner/innen sollten immer wieder auf ihre Handlungen zurückblicken und überlegen, welche Bildungsschritte mit den lernenden Personen gut verlaufen sind und welche nicht. Sie machen sich Gedanken, welche Rolle sie selbst beim Entstehen der Leistung der lernenden Person gespielt haben. Sie denken nach über ihre Stärken und Schwächen, über ihre Strategien – auch solche, mit denen Schwierigkeiten oder Unangenehmes umgangen werden – und über ihre Art, wie sie mit den Lernenden umgehen.
Ein Beispiel (Überlegungen eines Hauswarts, der als Berufsbildner die Reinigungsarbeit einer
lernenden Person kontrolliert):
- Das Resultat ist zum Teil unbrauchbar. Zum Glück habe ich das nochmals kontrolliert. Ich weiss zwar, dass ich manchmal einen übertriebenen Drang habe, alles kontrollieren zu wollen, aber meistens lohnt sich das halt. (Reflexion über eigene Verhaltensmuster)
- Ich bin sicher, dass ich es ihm detailliert gezeigt habe, ich lege schliesslich selbst Wert auf korrekte Ausführung und ich kann gut und motivierend erklären. (Reflexion über eigene Stärken)
- Aber ich habe wieder einmal nicht beachtet, dass er länger braucht als der Lernende im 3. Bildungsjahr. Manchmal überfordere ich ihn wohl oder habe zu grosse Erwartungen. (Reflexion über eigene Haltung)
- Heute wirkte er eigentlich den ganzen Tag eher demotiviert. Vielleicht habe ich ihn zu ruppig angefahren, als er am Morgen zu lange mit dem Rasenmäher herumfahren wollte? (Reflexion über das eigene Handeln)
- Wenn er morgen wieder keine Motivation zeigt, dann muss ich ihn darauf ansprechen und fragen, was los ist. Am besten frage ich ihn, ob er Probleme hat, damit habe ich beim letzten Lernenden gute Erfahrungen gemacht. (Reflexion über eigene Strategien)
Quelle: Lerndokumentation betriebliche Grundbildung, SDBB 2013