Qualifikation und Kompetenzen. Wir können kaum davon ausgehen, dass Berufe weiterhin wie früher auf traditionelle Weise vom Meister auf den Lehrling weitergegeben werden können. Die Beständigkeit des Berufs geht verloren, die meisten Berufsleute können sich nicht mit und in einem Lebensberuf weiterentwickeln. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass es immer schwieriger wird, Berufe präzise zu definieren. Die Arbeitswelt kennt immer weniger fix zugeschriebene Aufgaben, ausgeführt in klar definierten Abteilungen und mit ihren Spezialisten, die untereinander kooperieren. Wechselnde Produkte, wechselnde Technologien, wechselnde Aufgaben führen zu wechselnden Organisationen. Teams werden auf Zeit zusammengestellt und ständig neu gemischt. Unter Beruf verstehen wir eine allgemein anerkannte Qualifikation, über die alle verfügen, die einer bestimmten Berufsgruppe angehören. Anstelle der Berufsqualifikation treten Kompetenzen, die sich das Individuum aneignet. Durch die Kombination von Kompetenzen entstehen individuelle Kompetenzprofile, die von Person zu Person verschieden sind. Kompetenzen werden, anders als Qualifikationen, nicht in geordneten, vorbestimmten Schritten angeeignet, sondern das Individuum bestimmt selbst, was es lernen will und soll. Das ist der erste Schritt zu dem, was mit „eigenverantwortlicher Lebensunternehmer“ oder „eigenverantwortliche Lebensunternehmerin“ bezeichnet wird.
Berufswelt. Der Entscheid, Schreiner oder Mechaniker zu lernen, ist traditionellerweise beinahe eine Glaubensfrage. Ob mit Holz oder mit Metall zu arbeiten, ist eine grundsätzliche Wahl für Arbeitswelten mit eigenem Habitus, eigener Tradition, eigener Kultur. Der körperliche Kontakt mit dem Material bedeutete ein umfassendes Verständnis für klar umrissene Tätigkeiten. Berufsleute sind Fachleute, Experten auf ihrem Gebiet. Moderne Technologie und Produktionsweisen entfernen den Menschen vom Material. Dieses wird auf mathematische Gesetze, physikalische Eigenschaften oder chemische Zusammensetzungen reduziert. Bei einem CNC-Programm bestimmen für die Bearbeitung Drehzahl, Spantiefe, Vorschub und Werkzeugverbrauch den Unterschied zwischen Holz und Metall. Das gleiche Programm eignet sich für beide Materialien, lediglich die Produktionsmaschinen sind noch verschieden. Die qualifizierte Arbeit geschieht aber bei der Planung und der Programmierung, die Produktion selbst wird lediglich überwacht und schaltet sich bei Fehlern selbst aus. Manchmal muss jemand vielleicht noch den roten Knopf drücken.
Berufsbildung. Auch diese passt sich der Entwicklung an. In einer arbeitsteiligen, auf Spezialisierung ausgerichteten und hierarchisch organisierten Arbeitswelt entwickelte die Berufsbildung die vom Arbeitsmarkt gebrauchten, fein differenzierten Berufsbilder. Zum Beispiel: Maschinenmechaniker, Feinmechaniker, Mechaniker, Werkzeugmacher, Maschinenmonteur, Werkzeugmaschinist, Decolleteur, Kabelmaschinenoperateur. Ende der Neunzigerjahre wurden diese acht spezialisierten Berufe zu einem Basisberuf zusammengefasst: Polymechaniker/in. Das Prinzip ist Folgendes: berufliche Grundbildung auf breitem Fundament und Spezialisierung je nach Arbeitssituation der Lernenden schon während der Ausbildung in der zweiten Hälfte der beruflichen Grundbildung. Damit ist die Verlagerung vom Spezialisten zum Generalisten schon in der beruflichen Ausbildung vollzogen.
Einschränkungen. Auf vier Punkte sei ausdrücklich hingewiesen:
- 1. Diese Darstellung der Entwicklung ist nicht absolut zu verstehen. Es deutet vieles darauf hin, dass sich die Berufswelt in die beschriebene Richtung bewegt, weshalb sich die Berufsleute darauf einstellen müssen. Jedoch kann niemand Entwicklungen voraussehen, deshalb muss der Sachverhalt auf Grund der zur Verfügung stehenden Kenntnisse immer wieder neu untersucht und reflektiert werden.
- 2. Es kann angenommen werden, dass die Verlagerung vom Spezialisten zum Generalisten nicht für alle Berufsleute Gültigkeit hat. Es wird weiterhin qualifizierte Fachleute geben, die in einem spezifischen Gebiet gebraucht werden und beruflich durchaus sehr erfolgreich sein können. Unsere Annahme geht davon aus, dass die grosse Mehrheit der Berufstätigen sich nach den Anforderungen der Generalisten richten muss.
- 3. Bei der Darstellung „Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft“ und der Verlagerung des Schwergewichts von der „Spezialistin“ zur „Generalistin“ handelt es sich um ein – sehr vereinfachendes – Modell. Die Wirklichkeit ist selbstverständlich viel komplexer. Das Modell kann helfen, sich der Berufswirklichkeit und dem Verständnis dafür zu nähern. Durch die Vereinfachung gewinnt die Aussage an Deutlichkeit und kann so zur Diskussion anregen.
- 4. Generalist zu sein, heisst nicht, weniger anspruchsvolle Tätigkeiten zu verrichten oder gar weniger gut zu arbeiten als der Spezialist oder die Spezialistin. Es sind die Anforderungen und Einstellungen, die sich ändern. Die Metapher dafür ist eben: Spezialist/in und Generalist/in.