4.4.1 Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderung


Ein Begrifft verändert Denken und Handeln: Das Berufsbildungsgesetz von 1978 legte in Art. 29 Abs.2 fest, dass „Für behinderte Lehrlinge die kantonale Behörde ... bei der Lehrabschlussprüfung Erleichterungen gewähren kann“. Damit hat sich in der Berufsbildung der Begriff „Prüfungserleichterungen“ eingebürgert. Auch heute wird er da und dort noch verwendet. Die Umschreibung Erleichterung hat zu Unbehagen bei den Verantwortlichen geführt, weil damit die Idee vermittelt wird, dass die Anforderungen für die Berufsqualifikation heruntergesetzt werden.

Nachteilsausgleich. Im Verlauf der letzten zehn Jahre hat sich der Begriff „Nachteilsaugleich“ sukzessive etabliert. Die aktuelle Berufsbildungsverordnung zum Bundesgesetz über die  Berufsbildung von 2002 enthält in Art. 35.3 folgende Formulierung: „Abschlussprüfungen der beruflichen Grundbildung: Benötigt eine Kandidatin oder ein Kandidat auf Grund einer Behinderung besondere Hilfsmittel oder mehr Zeit, so wird dies angemessen gewährt.“ Für den schulischen Teil der Ausbildung gibt das Berufsbildungsgesetz in Artikel 21 vor: „Die  Berufsfachschule hat einen eigenständigen Bildungsauftrag und fördert  …  die Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen durch entsprechende Bildungsangebote und -formen.“

Einfaches Prinzip. Die Karikatur von Arnold Götz stellt das Prinzip dar: Das was in der Pfanne passiert, bleibt gleich und ist Kriterium für die Qualifizierung. Wenn jemand nicht zur Pfanne kommt, darf er oder sie besondere Hilfsmittel in Anspruch nehmen. Die Verwendung des Stuhls – wenn auch in diesem Fall nicht ganz SUVA-konform – hat auf die Qualität des Kochens keinen Einfluss. Das was dem Gast schliesslich serviert wird, ist das Kriterium für die Beurteilung. Die Qualifikation, d.h. das umfassende Wissen und Können, die für die qualifizierte Ausübung eines Berufs vorausgesetzt wird, wird nicht beschränkt.  Die Abschlussprüfung wird also nicht erleichtert, sondern es werden die Nachteile ausgeglichen, die die Qualifikationskriterien nicht beeinträchtigen.

Definition von Nachteilsausgleich. Der Begriff Nachteilsausgleich kommt im Berufsbildungsgesetz nur implizit vor. Im „Lexikon der Berufsbildung“ wird er 2011 umfassend definiert:

Lernenden mit Behinderung dürfen in der beruflichen Grundbildung und in der höheren Berufsbildung beim Lernen und bei Qualifikationsverfahren auf Grund der Behinderung keine Nachteile entstehen. Leistungsanforderungen werden dem individuellen, behinderungsbedingten Förderbedarf entsprechend differenziert gestaltet. Mit dem Nachteilsausgleich, der die Prüfungserleichterungen ablöst, wird die rechtliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung in der Berufsbildung umgesetzt.

Unter dem Begriff ‚Nachteilsausgleich für Menschen mit Behinderung‘ werden spezifische Massnahmen verstanden, die zum Ziel haben, behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen. Es handelt sich dabei um Anpassungen bei der Ausbildung und der Qualifikationsverfahren, die für die Sicherstellung der Chancengleichheit in der Berufsbildung für Menschen mit Behinderung notwendig sind.

Die Anpassungen beschränken sich auf die Bereiche, die behinderungsbedingt nicht oder nur teilweise erfüllt werden können. Die kognitiven und fachlichen Anforderungen müssen denjenigen der nicht-behinderten Lernenden entsprechen. Das Qualifikationsverfahren muss den Berufsanforderungen genügen und darf das Resultat nicht verfälschen.

Ist eine lernende Person auf Grund einer Behinderung beim Erlernen eines Berufs eingeschränkt, so kann das kantonale Berufsbildungsamt auf Antrag des Lehrbetriebs Nachteilsausgleich gewähren. Ein Nachteilsausgleich wird bei körperlichen Behinderungen oder Lern- und Leistungsschwierigkeiten wie zum Beispiel Legasthenie (Lese- und Rechtschreibschwäche) oder Dyskalkulie (Rechenschwäche) gewährt, wenn trotz Fördermassnahmen wie Stützkursen das Bestehen des Qualifikationsverfahrens in Frage gestellt ist. Das Gesuch um Nachteilsausgleich muss spätestens mit der Prüfungsanmeldung gestellt werden und die nötigen Belege oder Zeugnisse von Fachleuten (Fachlehrkräfte, Ärzte etc.) enthalten.







 

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